Hallo ! |
Univ.-Prof. Dr. Veerle Visser-Vandewalle
Direktorin der Klinik
E-Mail: veerle.visser-vandewalle@uk-koeln.de
Frau Visser - Vandewalle leitet eine der erfahrensten Kliniken für Tiefe Hirnstimulation, speziell auf dem psychischen Gebiet.
Unser Interview mit Frau Professor Veerle Visser-Vandewalle, Direktorin der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie, Uniklinik Köln und Präsidentin der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft Zwangsstörungen(DGZ 2017) Tagungsthema Zwangsstörungen und Tiefe Hirnstimulation. Das Gespräch wurde am 26. 10. 2017 mit uns geführt
Bei Zwangstörungen: Verzweifelt, aber auch voller Hoffnung, aber mit einer positiven Einstellung , mit langer Leidenszeit. Sie denken realistisch - auch im HInblick auf eine Teilgenesung
Frau Professor Visser - Vandewalle: " Ein gesunder Mensch kann sagen "Habe ich die Tür wirklich abgeschlossen?“ und der Gedanke verschwindet nach einem Moment des Nachdenkens. Bei zwangserkrankten Patienten ist der Kreis überaktiv und kann nicht mehr beeinflusst werden durch den Willen des Patienten oder durch Psychotherapie.
Es kann eine Lösung bieten, nur noch eine Elektrode dort zu implantieren und elektrisch den Kreis zu modulieren.
Oft ist es so, dass die Psychotherapie, trotz des Mangels an Erfolg vor der Operation, nach der DBS doch positive Ergebnisse hat.
Es ist als ob die Tiefe Hirnstimulation die Tür für die Psychotherapie öffnet. |
"Sie hatten während des Workshops für Zwangserkrankungen rund um die Tiefe Hirnstimulation angemerkt, dass Sie bei dem Einsatz bei psychischen Erkrankungen noch nie eine Hirnblutung hatten. FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE: " Ja, das ist korrekt"
Sie sprachen in Ihrem Vortrag auch davon, dass Sie eine Probeelektrode implantieren - wozu dient dieses Vorgehen?
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Ja, das ist richtig - wir messen mit dieser Elektrode Millimeter für Millimeter die elektrische Aktivität am Zielpunkt um festzustellen, wo die elektrische Aktivität im Zielgebiet am meisten ausgeprägt ist , um die optimale Platzierung der finalen Elektrode festzulegen.
Frage:
Die elektrische Überaktivität zeigt Ihnen also eine Abweichung vom Normalzustand an?
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Ja, wir haben das natürlich noch nie am gesunden Menschen getestet, aber Tierversuche deuten darauf hin.
Frage:
Aus einer neueren Studie geht hervor, dass der Erfolg der Tiefen Hirnstimulation unabhängig vom Alter oder der Dauer oder der Art des Zwanges, ja sogar des YBOCS (der Stärke der Zwangsstörung) ist, mit Ausnahme des ersten Auftretens.
Ist das auch Ihre Erfahrung?
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Ja das stimmt, obwohl es ganz klar ist, dass bei einem sehr frühen ersten Auftreten der Zwänge, also im Kindesalter, die Erfolgsrate geringer ist, so wie auch bei Sammelzwängen.
Frage:
Die gleiche Studie weist auch darauf hin, dass insbesondere bei Zwangsstörungen mit sexuellen und religiösen Inhalten eine besonders starke Wirkung eintritt?
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Diese Fälle haben wir so gut wie nie in der Klinik. Diese werden eher bei Tourette-Patienten gesehen.
Frage:
Wenn nun alle Methoden ausgeschöpft sind, sei es therapeutischer Art oder mittels Medikamenten, würden Sie dann, bei entsprechendem Leidensdruck sagen, dass es auch ethisch so ist, möglichst früh die Tiefe Hirnstimulation bei Zwangsstörungen durchzuführen?
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FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE: Ja wenn alle Methoden ausgeschöpft sind und die Einschlusskriterien respektiert werden, sollte man nicht lange warten, allein um keine Lebensjahre zu verlieren, in denen man keine Lebensqualität hat.
Spalte
Frage:
Wenn jetzt ein Patient die " magischen " 35 % Besserung nicht erreicht (sogenannte Non Responder) würden Sie sagen, dass es sich dennoch gelohnt haben könnte?
(Anmerkung des Verfassers: Ab einer 35 % ige Besserung spricht man sowohl in der Verhaltenstherapie als auch bei der Tiefen Hirnstimulation davon das der Patient erfolgreich auf das Verfahren anspricht)
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Das ist natürlich höchst individuell wie der Patient das bewertet.
Aber es kann sein, dass er wenigstens einen Teil seiner Lebensqualität dann wieder bekommen hat – z. B. dass er wieder nach draußen gehen kann, mit Nachbarn reden und Ähnliches.
Wir erleben auch, dass die Psychotherapie auch bei einem niedrigen Ergebnis wieder besser greift.
Frage:
Aus persönlichen Gesprächen habe ich gelegentlich den Eindruck, wenn der gewünschte Erfolg nicht in der erwarteten Zeit eintritt, dass mancher Patient sich selbst blockiert, etwa in der Form "Mache ich etwas falsch oder woran könnte es noch liegen".
Auch hier könnte doch eventuell eine Therapie helfen, unabhängig von der Zwangsstörung selbst.
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Es ist wichtig, dass der Patient auf der einen Seite Vertrauen hat, aber auf der anderen Seite nicht direkt denkt, dass es an ihm liegt, wenn sich der Erfolg nicht zum erwarteten Zeitpunkt einstellt.
Eine Begleitung des Patienten ist dabei wichtig. Frage:
Wäre denn, was viele auch fragen, eine Reha - in Form eines stationären therapeutischen Aufenthaltes im Anschluss an eine Tiefe Hirnstimulation - eine Möglichkeit ?
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Unser Eindruck ist eher der , das die meisten Patienten das eher nicht wünschen.
Wenn der Patient das tatsächlich wünscht, dann sollte dies überlegt werden.
Ein Grund könnte sein, dass der Patient nicht direkt mit dem bekannten Umfeld, den bekannten Auslösern konfrontiert werden möchte und erst mal Zeit für sich benötigt
FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE
Wir fragen in diesen Fällen einen individuellen Heilversuch bei den Krankenkassen an und dieser wird öfter akzeptiert als dass er abgelehnt wird - also ja.
Sehr geehrte Frau Professor Visser - Vandewalle - wir danken Ihnen für das Gespräch und beglückwünschen Sie zu der erfolgreichen Veranstaltung 4 |
Frage: Sie hatten angedeutet, dass bei Ihnen auch Depressionen, Suchterkrankungen sowie Tourette mit der Tiefen Hirnstimulation, ähnlich wie bei der Zwangsstörung, behandelt, aber nicht durch die Krankenkassen vergütet werden.
Macht es dann überhaupt Sinn, sich bei Ihnen zu melden?
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FRAU PROFESSOR VISSER-VANDEWALLE: Auch Depressionen, Suchterkrankungen sowie Tourette werden mit der Tiefen Hirnstimulation, ähnlich wie bei der Zwangsstörung, behandelt, aber nicht durch die Krankenkassen vergütet. Wir fragen in diesen Fällen einen individuellen Heilversuch bei den Krankenkassen an und dieser wird öfter akzeptiert als dass er abgelehnt wird."
Sehr geehrte Frau Professor Visser - Vandewalle - wir danken Ihnen für das Gespräch und beglückwünschen Sie zu der erfolgreichen Veranstaltung |
Eigene Anmerkungen : Kurzdarstellung der Voraussetzungen und Chancen bei Zwangsstörungen deutlich leichter als früher
Es reichen 1 Therapieversuch und 3 medikamentöse Versuche bei entsprechendem Leidensdruck
Erfolgsquote bei bisher NICHT - BEHANDELBAREN Zwangsstörungen: 60 % - 75 %
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Die Zugangsvoraussetzungen zur Tiefen Hirnstimulation haben sich im Laufe der Jahre erleichtert:
Laut Frau Professor Visser - Vandewallee genügen nun folgende Kriterien:
Statt unendlich viele Medikamnet und Therapien auszuprobieren genügen jetzt die krierien - unter sonst gleichen Umständen:
Hoher Leidensruck seit 3 Jahren
Eine entsprechender Therapie ohne Erfolg
Zusammen 3 verschiedene Medikamente erfolglos versucht
1. Hoher Leidensdruck
YBOCS (Yale-Brown obsessive-compulsive scale): Min 0-Max 40
THS ab YBOCS ≥ 28 länger als 3 Jahre
2. Resistent auf andere (nicht-operativen) Behandlungen
1. kognitive-behaviorale Behandlung: mindestens 45 Stunden
2. medikamentöse Behandlung SSRI’s, Clomipramine. Lithium..)
• Mindestens zwei erfolglos verlaufene medikamentöse Therapien mit selektiven
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Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder Clomipramin über 10 Wochen in ausreichend hoher Dosierung (Clomipramin: 300 mg/die, Citalopram 60 mg/ die Fluoxetin: 60 mg/die, Fluvoxamin: 300 mg/die, Paroxetin; 60 mg/die, Sertralin: 200 mg/die
Mindestens eine erfolglos durchgeführte medikantöse Augmentation über 10 Wochen mit mindestens einem der folgendnen Medikamente:
Lithium, Buspiron oder einem Neuroleptikum
Frau Professor Visser - Vanderwalle zu der Arbeit an Ihrer Klinik in einem früheren Interview Dieses Interview wurde mit uns am 22. 05. 2015 geführt
Interview Professor Dr. med. V.
Visser-Vandewalle
Frage
Frau Prof. Visser-Vandewalle, können Sie uns kurz erzählen, seit wann Sie sich mit der THS beschäftigen, speziell mit der THS bei psychischen Erkrankungen?
Antwort:Ich beschäftige mich mit der Tiefen Hirnstimulation seit Januar 1996. Die erste THS bei psychischen Erkrankungen, die ich durchgeführt habe, war im August 1997. Es war auch tatsächlich die erste THS bei einer psychischen Erkrankung ( Tourette - Syndrom ) in der Geschichte der Tiefen Hirnstimulation. Frage:
Welche psychischen Erkrankungen werden derzeit bei Ihnen behandelt?
Antwort:
Wir behandeln Zwangsstörungen, Tourette-Syndrom, Sucht (Heroin und Alkohol) und Depression. Die Zwangsstörung ist die einzige psychiatrische Erkrankung, die von den Krankenkassen bezuschusst wird. Die anderen Indikationen werden im Rahmen einer Studie behandelt.
Frage: Wie gestaltet sich der typische Operationsablauf an der Universitätsklinik Köln – von der Bildgebung bis zum Einschalten des Stimulators?
Antwort:
Vor der Operation wird ein MRT erstellt. Der Patient wird ein paar Tage vor der Operation aufgenommen, weil noch verschiedene Untersuchungen oder Konsile durchgeführt werden müssen, wie z. B. ein Gespräch mit dem Anästhesisten. Wenn dies alles im Vorfeld gemacht werden konnte, wird der Patient ein Tag vor der Operation aufgenommen. Am Tag der Operation selbst wird morgens um 8.00 Uhr mit der Fixierung des Kopfes in einem Rahmen begonnen. Dann gehen wir mit dem Patienten in die Radiologie, um ein CT-Scan zu nehmen. Anschließend werden die MRT-Bilder mit den CT-Bildern im Rechenraum fusioniert und die Planung erstellt. Dann fangen wir ungefähr um 10.30 Uhr mit der eigentlichen Operation an. Es wird ein kleines Bohrloch rechts oder links gemacht und eine ganz feine „Mikro“-Elektrode im Gehirn implantiert. Mit dieser Elektrode messen wir die elektrische Aktivität über 10 bis 12 mm in einem Trajekt. Danach implantieren wir die definitive Elektrode und fixieren sie im Bohrloch. Das gleiche wird anschließend auf der anderen Seite durchgeführt. Manchmal werden die Elektroden mit einem Kabel verbunden, das durch die Haut herausgeführt wird, für andere Indikationen wird direkt ein Impulsgeber implantiert. Nach der Operation bleibt der Patient noch ein paar Tage in der Stereotaxie und danach in die Psychiatrie verlegt. Dort wird die Stimulation eingestellt. Es kann sein, dass im Rahmen einer Studie der Patient von einem „geblindeten“ Arzt aus der Stereotaxie eingestellt wird.
Frage: Sind die Erfolgschancen bei Zwangshandlungen und Zwangsgedanken in etwa gleich groß?
Antwort:
Allgemein kann man sagen, dass der Erfolg nach einer Tiefen Hirnstimulation bei Zwangshandlungen signifikant bei etwa 60 % der Patienten ist. Typischerweise sehen wir das erste Ergebnis im Bereich der Stimmung. Die Stimmung verbessert sich auf Erstsymptom. Danach bessern sich die Zwangsgedanken und danach die Zwangshandlungen. Insgesamt kann es ein ganzes Jahr dauern, bis wir das Endergebnis haben. Also das Ergebnis auf Zwangshandlungen lässt oft etwas länger auf sich warten, aber ist nicht schwieriger zu behandeln.
Zu den Stimmungsverbesserungen und - insbesondere im Frühstadium bitte hier klicken Frage:
In den Studien wird eine Behandlung dann als erfolgreich gewertet, wenn sie während des Beobachtungszeitraumes eine Besserung um 35 % oder mehr erreicht werden. Sind Fälle denkbar, wo die Besserung erst außerhalb des Zeitraumes erfolgen oder dass Patienten den Cut-Off nicht erreichen und dennoch etwas profitieren?
Antwort:Es ist nicht selten, dass das Ergebnis erst nach einem Jahr erreicht wird. Auch danach kann sich eine progressive Verbesserung durchsetzen.
Frage:
Die Frage nach den Risiken einer THS wird häufiger gestellt – insbesondere die einer Hirnblutung – wobei oft Prozentzahlen von 2 % angegeben werden. Auf der anderen Seite wird vermerkt, dass es sich bei diesen Hirnblutungen selten um „echte Blutungen“ mit einem hohen Gefahrenpotential handelt. Laut einer Statistik der Universität Köln von 1996 -2006 gab es bei knapp 500 Eingriffen nur 1 Zwischenfall dieser Art, der auch nicht mit dem Eingriff selbst zusammenhing. Können Sie uns hier ein wenig über den Stand der Dinge informieren?
Antwort: Das Risiko auf eine Blutung ist tatsächlich sehr niedrig und liegt rund um 1 %. Ein Teil von diesen Blutungen werden nicht aufgemerkt, das heißt, dass sie ohne Symptome bestehen und dass sie nur auf Scans zu sehen sind. Das bedeutet, dass eine Blutung, die für den Patienten ein Defizit darstellt, sehr niedrig ist.
Frau Professor Visser - Vandevalle, wir danken Ihnen recht herzlich für Ihr Interview.
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